Zankapfel Gendern

Nachdem deutsche Gender-Wirren nun schon in einem etwas konfusen Artikel beim Guardian angekommen sind und Binnen-I und seine Brüder (und Schwestern!) immer wieder für Unmut sorgen, dachte ich, ich sammle mal meine Gedanken zum Gendern. Ich habe schon mit fast allen gängigen Formen herumexperimentiert und bin mir nur eines Grundsatzes sicher:
Es ist wichtig, aber manchmal unästhetisch.

Wer nochmal schnell nachlesen muss, warum gegenderte Sprache wichtig ist, kann das hier tun, sehr lesenwert. Kurz gesagt, Frauen können noch so sehr mitgemeint sein, aber bei einem Satz wie “Der Arzt stand seit fünf Stunden im OP” steht vor dem geistigen Auge in der Regel halt doch einen Mann im weißen Kittel.

Für mich geht es also gar nicht ums Ob, sondern nur ums Wie. Und da kommt es sehr auf den Text/das Buch/die Gelegenheit an.

In Geschichten ist Gendern natürlich Blödsinn. Da ist es nicht Aufgabe der Sprache, die Geschichte ausgeglichener zu gestalten, sondern Aufgabe von Autoren und Autorinnen, mal langsam in die Pötte zu kommen und Klischees über Bord zu werfen. Als Übersetzerin stehe ich trotzdem hin und wieder vor der Frage, ob ein/e nicht näher spezifizierte/r “guard” zum Beispiel ein Er oder eine Sie ist, denn im Englischen ist beides möglich. Dabei muss aber eine Entscheidung getroffen werden, die dem Kontext der Geschichte entspricht – entweder bietet sie etwas progressivere Rollenbilder oder nicht. Aber sie ist kein Raum für gendergerechte Sprache, die im Grunde Schroedingers Gender zu fassen bekommen will, denn solche nicht näher bestimmten Subjekte sind erzählerisch eher unerwünscht.

Für alle anderen Texte ist Zankapfel-Möglichkeit Nr. 1 das Binnen-I (LeserInnen), die /-Methode oder der Gendergap (Leser_innen). Letzerer wird häufig als noch inklusiver angesehen, weil die Lücke deutlicher macht, dass die binäre Geschlechtereinteilung auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Für alle Gelegenheiten, wo Mitmeinen unerlässlich ist, stellt es auf jeden Fall eine todsichere Methode dar, die auch nicht viel Textwust generiert. Leuten wie mir, die auch immer die Aussprache mitdenken und beim Lesen im Kopf eine fette Betonung aufs I legen, kann man noch die Eselbrücke bauen, dass das alles nur eine Kurzform für “Leser und Leserinnen” ist.
Allein, ein Augenschmaus wird das Ganze wohl nie. Deswegen ist es besonders gut in amtlichen Texten (seien wir ehrlich, die macht ein Binnen-I auch nicht mehr schlimmer), Anschlägen, Stellenanzeigen und sonstigen Textsorten aufgehoben, bei denen der Ästhetik wenn überhaupt eine Statistenrolle zukommt. Da tun Binnen-I & Co. ihren Job ganz hervorragend und stören niemanden, der nicht ganz dringend gestört werden will.

Leicht subversiv und womöglich noch zankapfeliger ist es, wenn jede ihre Leserinnen im generischen Femininum anspricht und damit die maskuline Form einfach mal unter den Tisch fallen lässt, Männer sind einfach per definitionem mitgemeint.
Das finde ich grundsätzlich sehr schön, vor allem, um mal aufzuzeigen, wie gut das Mitmeinen wirklich funktioniert – das bietet sich also zum Beispiel für Aktionstexte oder –wochen an. Aber als Standardoption fällt es für mich aus. Ich glaube, mir ist es einfach zu unfreundlich, den männlichen Teil meiner Leserinnen ganz pauschal auszuschließen.

Ersatzvokabular kommt zum Einsatz, wenn plötzlich von Lesenden die Rede ist. Damit kann man eine Menge tricksen, vor allem, wenn es etwas geläufigere neutrale Begriffe gibt, wie etwa “Leserschaft” oder “Publikum”. Eine Allzweckwaffe ist es allerdings nicht, denn wenn man das Ersatzvokabular nicht sehr sparsam einsetzt, wirken Texte schnell distanziert oder vage.

Beides erwähnen, das ist die Option, für die ich mich inzwischen in den meisten Gebrauchstexten – wenn möglich – entscheide. Es wird allerdings, je nach Text, schnell schwurbelig und schwierig, und man will doch für den Leser und die Leserin alles möglichst so gestalten, dass er oder sie sich nicht mit ganz viel unnötigem Ballast herumschlagen muss. Aber z.B. für Sachtexte bietet sich das Doppelt-Gemoppelte durchaus an. Man muss es ja nicht, wenn es zum x-ten Mal hintereinander kommt, durchgehend stur durchziehen. Schon punktuell angewendet kann es Wunder wirken. Wenn es z.B. grundsätzlich gar nicht macht, formuliert man nämlich mitunter sinnentstellend:
Ursula K. Le Guin ist mit die beste Fantasy-Autorin der 70er Jahre. Aha, und wer sind die besten Autoren?

Eine schöne Methode, von der ich gerne sehen würde, dass sie sich hierzulande etabliert, ist das Abwechseln. Letztens habe ich in den Hausregeln eines Verlags die Anweisung gesehen, es nicht aus dem Englischen zu übernehmen, wo es in bestimmten Textsorten verbreitet ist. Ich kenne es aus Ratgebern, aber z.B. auch Rollenspielen. Natürlich geht es hier nicht ganz so glatt über die Bühne, da man nicht wie im Englisch bei “the doctor” sowohl mit “he” als auch mit “she” weitermachen könnte, aber wenn man das Nomen ebenfalls abwechselt, ist es eine wenig aufdringliche und auftragende Methode, bestimmte Texte etwas ausgeglichener zu gestalten.

Man hat also durchaus einige Möglichkeiten zur Hand, die sich situationsbezogen einsetzen und sogar kombinieren lassen, und kann fröhlich und ästhetisch gendern. Viele Gründe gibt es nicht mehr, sich davor zu drücken, die Hälfte der Leserschaft anzusprechen statt nur mitzumeinen.

6 Kommentare

  • “Leicht subversiv und womöglich noch zankapfeliger ist es, wenn jede ihre Leserinnen im generischen Femininum anspricht und damit die maskuline Form einfach mal unter den Tisch fallen lässt, Männer sind einfach per definitionem mitgemeint.”

    Das mache ich regelmäßig in meine Texten (Blogeinträge, Artikel, Rezis, Forenposts), nicht konsequent, lieber willkürlich. Ist aber anscheinend noch niemandem aufgefallen. Zumindest hat sich bisher niemand beschwert.

    Furchtbar finde ich es, wenn gedoppelt wird und von Leserinnen und Lesern die Rede ist. Das macht Texte oft unlesbar. Dann lieber LeserInnen.

  • Juliana schrieb:

    Eine sehr schöne Zusammenfassung. Den Gender-Gap-Unterstrich finde ich persönlich aus praktisch-ästhetischem Gesichtspunkt nicht so gelungen; wiewohl finde ich das Einbeziehen von Leser_Innen (Na wie nu!), die sich weder als männlich noch weiblich, sondern als trans-, inter-, … identifizieren, ebenso wichtig. Die Gender Gap kommt ja nicht umsonst aus der queer-Richtung der Sprachkritik. Aber eine Lücke im Text zu schaffen, die nach belieben gefüllt werden kann – das erscheint mir nicht das Gelbe vom Ei zu sein.

    Aus theoretischer Sicht gefällt mir die Abschaffung der gendernden Suffixe und die Nutzung der Grundform für alle Geschlechter am besten (also der Arzt, die Arzt). Wird nicht passieren, deshalb mag ich das Binnen-I und das Abwechseln sehr. Und ein generisches Femininum hat auch noch niemandem geschadet!

    Schade finde ich daran eben nur diese betonte Binarität. Aber nunja, Schrittchen für Schrittchen… 😉

    p.s. Ich habe gerade einen Artikel gelesen, wo es um die “Herrin” geht – ein wirklich furchtbares Wort, finde ich. Es wurde nach Alternativen zur “Hausherrin” oder “Bauherrin” gesucht, die (nicht wie “Baufrau” oder eben “Hausfrau” z.B) die hierarchische Stellung auch in der femininen Form ausdrückt. Vorgeschlagen wurde: Haushera, Bauhera, etc (nach griechischer Vorbild-Hera) und ich muss sagen, das finde ich großartig: pointiert und praktisch!

  • Ein hübscher Überblick. Vielen Dank dafür, Simone.
    Mein Problem mit der Diskussion da draußen ist, dass Genus und Sexus einfach zu oft gleichgesetzt werden (siehe Mark Twain und das Wort „Mädchen“). Seit ich von Nominalklassen in anderen Sprachen gehört habe, sehe ich den Zusammenhang zwischen grammatischen und biologischen Geschlecht viel loser als vorher. Und im deutschen Singular sehe ich das Problem überhaupt nicht. Erst wenn der Plural mit reinspielt, entstehen die Schwierigkeiten. Dort ergeben sich die entscheidenden Probleme daraus, dass wir generische Formen haben und dummerweise eine Form, die wir gerne unterschieden hätten, zum Standard erklärt haben. Wenn „die Ärzte“ eine Gruppe aus Männern und Frauen bezeichnet, kann ich mit „die Ärztinnen“ die weiblichen Ärzte aus der Gruppe hervorheben. Wie mache ich das mit den männlichen Ärzten? Wenn „die Ärzte“ ein ganz klares generisches Maskulinum ist, kann ich das gar nicht direkt an der Form erkennen. Das wäre übrigens genauso beim generischen Femininum: Wenn „die Ärztinnen“ der Standard wäre, könnte ich mit „die Ärzte“ die Männer identifizieren; die Frauen könnte ich dann nicht mehr ohne weiteres hervorheben. Vermutlich würde auch dann das Genus ein wenig abfärben, wie es offenbar beim generischen Maskulinum der Fall ist. Das ist der Fluch der Form, die zum Standard erklärt wird. Oder anders: Das ist grundsätzlich der Fluch eines Genussystems.
    In dem Augenblick, in dem ich zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht unterscheide, muss ich damit leben, dass ich in vielen Fällen mit Formen konfrontiert werde, bei denen Genus und Sexus nicht zusammenpassen. Wenn ich z.B. „die Personen im Saal“ sage, ist das eine feminine Form, die Männer und Frauen bezeichnet, auch wenn nur Männer anwesend sind. Und ich vermute, niemand wird annehmen, dass es dabei irgendeine Tendenz gibt. Bei maskulinen Formen gibt es diese Tendenz vielleicht deswegen, weil meist die Möglichkeit besteht, die feminine Form abzuleiten. Umgekehrt geht das eben nicht, weil die maskuline Form unmarkiert ist.

    Trotz allem finde ich die Strategien gut, der Tendenz, die durch das Verwenden des generischen Maskulinums entsteht, entgegenzuwirken, und empfinde die meisten Lösungen beim Lesen nicht als etwas Störendes. Das einzige ernste Problem bei Dingen wie dem Binnen-I ist, dass sie sich auf die Schriftsprache beziehen und eben nicht auf das Gesprochene. Dort nämlich klingt es wie das generische Femininum und hat dann die gleichen Probleme wie vorher das Maskulinum. Deswegen finde ich die anderen Strategien besser.

    @Juliana: Gegen das Wort „Herrin“ vorzugehen, ist aber ein sehr heikles Thema. Besonders wenn man die Etymologie des Wortes „Frau“ bedenkt.

    Grüße,

    James.

  • Deinen Ausführungen zum Plural (und dem, hm, Ertragen-Müssen der Nicht-Übereinstimmung von Genus und Sexus) stimme ich größtenteils zu, James – was die sprachliche Exaktheit und den rein sprachlichen Klärungsbedarf betrifft.
    Aber das Problem, dass das, was das generisches Maskulinum als sprachliches Instrument kann (also “eine Form für alle” zu präsentieren) durch die Übereinstimmung mit dem genuinen Maskulinum halt dazu angetan ist, alte Rollenbilder zu zementieren, gerade bei Berufsbezeichnungen und so weiter. Das liegt nicht mal an der Sprache, sondern in den Köpfen. Aber als Leute, die mit Sprache arbeiten, glauben wir doch alle daran, dass Sprache etwas bewirken kann.

    Deswegen finde ich auch etwas gewagtere Experimente spannend – weil sie einfach zum Nachdenken anregen und uns zwingen, uns mit der Problematik zu beschäftigen. Aber am schönsten wäre zweifelsohne, wenn sich in den Köpfen irgendwann alles soweit geändert hat, dass wir kein Binnen-I und andere derartige Spielereien mehr brauchen.

  • Achso, und der Guardian hat nochmal nachgelegt: Auch nicht alles so schön einfach im Englischen, wie’s auf den ersten Blick aussieht. http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/mar/25/indeterminate-masculine-pronouns-ernest-gowers?

  • Gewagtere Experimente begrüße ich auch. Aber meistens laufen sie darauf hinaus, dass Formen, die auf ‘-in’ enden, verwendet werden. Das regt natürlich zum Nachdenken an, ist aber nicht kompromisslos, weil man ja leicht die maskuline Form durch das Weglassen des Suffixes bilden kann. Schöner wäre es da, feminine Formen zu fördern bzw. zu verteidigen, die nicht auf ‘-in’ enden. Dann muss man, ob man will oder nicht, die feminine Form auf Männer anwenden. Aber leider dürfte sich die Zahl der Beispiele in Grenzen halten. (Mir fällt gerade nur „Hebamme“ ein.)

    Richtig gewagt es wäre, davon auszugehen, dass das grammatische Geschlecht in Pluralformen nie das biologische Geschlecht klar bestimmt. Also: „die Ärzte“ und „die Ärztinnen“ würden das gleiche bezeichnen und höchstens eine unterschiedliche Tendenz angeben. Dann müssten wir nur noch annehmen, dass „weibliche Ärzte“ (wie bisher) und „männliche Ärztinnen“ akzeptable Formen sind und „männliche Ärzte“ (auch wie bisher) und „weibliche Ärztinnen“ keine Pleonasmen sind. Das wäre doch mal ein spannendes Experiment, das auch testen würde, wie ernst es die Leute mit generischen Formen meinen.

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