Mythos und Merchandising: Star Wars

Zum Star Wars-Franchise habe ich – wie vermutlich die meisten Genre-Freunde in meinem Alter – eine lange Beziehung, und durch meine Übersetzungsarbeit an verschiedenen Star Wars-Publikationen für junge Leser habe ich mich in letzter Zeit wieder vermehrt damit beschäftigt. Dabei kommt die Frage auf: Sehe ich mich als Fan? Und ist Star Wars heute überhaupt noch in irgendeiner Form spannend und interessant?
Schwierige Fragen. Auf diesem Mutterschiff des Merchandising scheint längst alles engineered, und die Filme wirken mitunter wie Vehikel für den Verkauf von anderem Krempel.

Spannend ist jedoch schon mal, dass man als erstes fragen sollte: Welches Star Wars?
Es gibt eine vielschichtige, weit streuende Fangemeinde, die vom Hardcore-Nerd, der von Anfang an dabei war, über den ABC-Schützen reicht, der am liebsten auf seiner ganzen Ausstattung Yodas sehen möchte, bis hin zu Genderswap-Han-und-Leia-Cosplayern. Und jeder hat eigene Gründe, das Franchise zu lieben.
Ein junger Fan heute kennt womöglich ein ganz anderes Star Wars als ein Mittvierziger, der von der Zeit träumt, als er noch für die Renegaten-Staffel rekrutiert werden wollte, und hat wohl vor allem Clone Wars im Kopf, Rebels und noch eher die drei Episoden, die den alten Filmen die Nummern 4, 5 und 6 angedeihen ließen. Und die alten Filme sind vermutlich … da, aber schon etwas angestaubt, ne? Anwesende Eltern und pädagogisch am Ball Seiende mögen mich verbessern.

Ich komme übrigens aus der Zeit zwischen den Filmen. Ich war zu klein, um mir auch nur Return of the Jedi im Kino anzusehen, dazu kommt, dass ich Star Wars-Spätzünder war, weil ich mich zunächst mehr zu Drachen und Zauberern als zu Raumschiffen und Robotern hingezogen fühlte. Aber mein Teenager-Ich war sehr, sehr angetan. Und dann kamen unglaublicherweise* neue Filme. Yay! Nur war ich da schon ein bisschen zu alt für kritiklose Verehrung. Dabei wollte ich The Phantom Menace wirklich mit aller Kraft mögen (wer nicht?). Tja.

Trotzdem gab es immer Aspekte, die mir gefallen haben, und – Merchandising sei Dank! – auch nie einen Mangel an Material, das meinem Geschmack entsprach. Womit wir bei den nächsten spannenden Punkten wären.
Razor's Edge von Martha WellsBei so viel Zeug ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch mal jemand die Randbereiche der Parameter auslotet, die Star Wars definieren. Das passiert vor allem im sogenannten Expanded Universe (quasi alles abseits der Filme, vor allem Romane und Comics). Dort haben sich einige Autoren und Autorinnen (Stover, Stewart, Wells, Rubio, …) kreativ mit den Möglichkeiten ausgetobt, die dieses nur auf den ersten Blick schwarz-weiße Universum bietet. Im allerbesten Fall kann man damit wirklich spannende Sachen anstellen – die von dem grundsätzlich sehr ausgereiften Setting profitieren.

Denn die Welt ist groß und detailliert und verfügt über einen unverkennbaren, sehr kontinuierlich durchgezogenen Look und eine Atmosphäre, die in jeder Ära mit Abänderungen zum Ausdruck kommt. Wenn man die kleine Stimme im Kopf abstellen kann, die sich fragt, warum die Technik (und die Kultur) in der alten Republik ungefähr genauso aussieht wie 3000 Jahre später zur Zeit der Rebellion, macht diese Kontinuität unheimlich Spaß, unter anderem bei den verschiedenen Games, die aus dem Franchise hervorgegangen sind, von Rebellion bis The Old Republic, die es dadurch mühelos schaffen, den Spieler als Protagonisten einer weit, weit entfernten Galaxis zu installieren.
Das liegt auch am riesigen Fundus, aus dem man schöpfen kann, denn Star Wars hat nie mit großen und kleinen Schauwerten gegeizt.

Faszinierend ist auch, wie gut die erzählerischen Hintergründe funktionieren: Klar, es ist alles zusammengeklaut (gekonnt geklaut – oder hat den Stunt mal jemand in der Form wiederholt?), es ist Fantasy im SF-Gewand. Aber die Macht, die Archetypen, die aufgefahren werden, die klassischen Motive und Strukturen erfüllen den menschlichen Wunsch nach Mythen, und sie sind der Grund, weshalb alle spannenden Parodien, Auslotungen der Randbereiche und Grenzen und das Auf-den-Kopf-Stellen überhaupt erst funktionieren – weil es einen klar definierten, soliden und äußerst fruchtbaren Kern der Star Wars-Mythologie gibt, von dem man zehren kann.

Und wenn einem das mit der hellen und der dunklen Seite der Macht zu salbungsvoll wird, gibt es auch noch die bunte Seite: Star Wars hatte immer was fürs Entdeckerherz auf Lager, neue Planeten und Spezies, skurrile Geschöpfe und faszinierende Orte. Auf diesem Feld konnte schon die erste Trilogie unglaublich punkten, die zweite mit ihrer Lust an grandiosen Kostümen und creature designs sowieso, und das Expanded Universe hat sogar ein Plätzchen für Hasenschmuggler und dergleichen Kurioses. In dieser Hinsicht war auch The Clone Wars ein Spaß, bei dem zwar mancher Witz so überstrapaziert wurde, dass man aufpassen muss, nicht in der OT mit den Zähnen zu knirschen, aber die schiere Buntheit und Unbekümmertheit waren allerliebst.

Nun wartet man mehr oder weniger gespannt auf neues Material von Disney, wobei die Vermarktungs- und Hype-Maschinerie logischerweise läuft wie am Schnürchen. Rebels scheint mir nach allem, was ich bisher gesehen habe, noch nicht an The Clone Wars heranzureichen, es ist im schlechtesten Sinne harmlos und wirkt, als müsse eine Strichliste von Star Wars-konstituierenden Einzelmomenten abgehandelt werden – die bunt-verspielte Komponente bleibt eher außen vor.

yodasgeheimnisseIch bin nun auf jeden Fall auch ein (ganz kleines) Rädchen der Marketingmaschinerie. Die Bücher, die ich übersetze, sind nur ein winziger Teil dessen, was unter dem riesigen Franchise-Dach unters Volk gebracht wird, und man erkennt schnell die Verzahnung und kalkulierte Wirkung des Ganzen. Raumschiffe, Fahrzeuge und Gadgets (vor allem auf Jungen zugeschnitten), eindeutige moralische Einordnung, aber bitte mit coolen Bösen, ein Schulsystem (Padawane/Sith-Schüler) zur Identifikation, und und und.
Ich bin dabei mit einer gewissen kognitiven Dissonanz am Werk, wenn ich das sehe, aber vieles daran immer noch charmant finde. Wie lange das noch gutgeht? Keine Ahnung. „Mein Star Wars“ war immer nur ein Teil des Ganzen, und ich erfreue mich nach wie vor an den Teilen des Universums, die ich mag.

Erzählerisch droht alles im Selbstzitat zu erstarren (auch eine Folge davon, dass man mit dem kleinsten gemeinsame Nenner auf den größten möglichen Profit zielt) – und es bleibt die Frage, ob das Reisen auf ausgelatschten Hyperraumrouten nicht auch für faules, fantasieloses Erzählen (und Konsumieren der Geschichten!) steht. Aber Star Wars ist vor allem eines: eine Folie für Geschichten, gute wie schlechte. Es funktioniert wahrscheinlich längst ähnlich wie klassische Mythen und Legenden, ist ein modernes Pendant zur Artussage oder anderen Sagenkreisen: Es ermöglicht den Rückgriff auf einen Fundus von Versatzstücken, die der geneigte Geschichtenerzähler immer wieder neu kombinieren und interpretieren kann. Insofern wäre es höchstens Zeit, dass das Ganze ins Gemeingut übergeht und von der Trademark-Fessel befreit wird.
Es wird sich erweisen, ob Darth Lucas, der Disneyrator und ihre wild um sich ballernden Marketingtruppen einen trotz allem großen Geschichtenzyklus kaputtverkaufen können. Oder ob er nicht längst zu groß ist und draußen im Outer Rim schon jeder sein eigenes Star Wars hat, das man gar nicht mehr entwurzeln kann.
fleuron_fb
*Nur zur Erinnerung, denn man könnte es verdrängt haben: Ja, damals war so ein Fortsetzungs- oder gar Prequel-Gedöns tatsächlich noch eher die Ausnahme als die Regel.

2 Kommentare

  • Seltsamerweise bin ich immer mehr oder weniger davon überzeugt gewesen, alle drei ursprünglichen “Star Wars” – Filme als Kind im Kino gesehen zu haben. Wie das möglich gewesen sein soll, ist mir freilich schleierhaft. Es sei denn, die ersten beiden Streifen wären im Vorfeld von “Return of the Jedi” erneut in die deutschen Lichtspielhäuser gelangt. Mysteriös …

    Jedenfalls war ich im Alter von schätzungsweise 8-12 Jahren ein richtig großer kleiner “Star Wars” – Fan, hatte eine Reihe der Actionfiguren und Modelle, die Romanadaption von “Das Imperium schlägt zurück”, Hörspielkassetten des ersten und dritten Teils usw.

    Ich habe nie wieder zu dieser alten Begeisterung zurückfinden können. Und schuld daran waren nicht die Prequels, von denen ich ohnehin nur “The Phantom Menace” im Kino gesehen habe.

    Als eine neckische Hommage an die SciFi-Serials der 30er & 40er Jahre weiß ich die alte Trilogie zwar inzwischen wieder zu schätzen, doch darüber hinausgehend habe ich die Faszination, die für viele offenbar von “Star Wars” ausgeht, nie so recht nachvollziehen können. So fand ich z.B. die paar Episoden von “Clone Wars”, in die ich reingeschaut habe, schrecklich langweilig. (Um ehrlich zu sein, ich habe nie bis zum Ende durchgehalten.)

    Das “Expanded Universe” kenne ich nicht, und wenn du behauptest, da gäbe es manch charmantes & interessantes zu entdecken, glaube ich dir natürlich erst einmal. Dennoch würde es mich interessieren, worin genau für dich der “klar definierte, solide und äußerst fruchtbare Kern der Star Wars – Mythologie” besteht.

    In Gemeingut wird “Star Wars” wohl erst nach der Weltrevolution übergehen. Doch andererseits befindet es sich — ähnlich wie etwa “Star Trek” — ohnehin längst im Besitz der Fangemeinde. Was würde das Abstreifen der Trademark-Fessel da noch groß verändern?

  • Das habe ich mich ehrlich gesagt auch gefragt – was würde sich hypothetisch eigentlich ändern, wenn es Gemeingut wäre? Und was sagt die naheliegende Antwort darüber aus, wie es um den Umgang mit solchen Geschichten heute bestellt ist? Ich habe das auch nur geschrieben, weil Gemeingut für mich die Daseinsform wäre, die einer Geschichte dieser Wirkungsbreite zusteht. Das passiert aber heute nicht mehr – das Publikum eignet sie sich trotzdem an. Dann würde sich wohl vor allem ändern, wer das Geld scheffelt (und ob überhaupt).

    Also, der allerinnerste Kern der Star-Wars-Mythologie ist die Macht, würde ich sagen. Die hat sich im Verlauf der Entwicklung des Franchises zwar auch leicht verändert, aber ihre Existenz und die Art, wie sie sich manifestiert, konstituiert das SW-Universum, auch weil sich die Figuren (oft passend zu ihren Archetypen) irgendwie dazu positionieren müssen. Drumrum schichten sich dann ein gut/böse/Ordnung/Chaos-Motiv und die SF-Elemente, die auch auf sehr spezifische Weise eingesetzt werden. Und dann noch eine Menge Kleinkram, den ich auch spannend finde (z.B. die Sprachen – wir haben allerhand Sprachen, die untertitelt werden, die ergo die meisten Leute irgendwie verstehen können, sonst müsste jeder seinen C-3PO dabei haben).

    Was die Buntheit und Kinder-Serien angeht, fand ich Clone Wars am Anfang auch etwas lahm. Das legt noch zu, wobei es schon angepasst-kindgerecht bleibt. Mir gefällt daran einfach, dass es sehr vielfältig ist. Aber in – vielleicht verklärter – richtig guter Erinnerung habe ich diesbezüglich die Ewoks-Zeichentrick-Serie (nicht die Filme). Das ist allerdings auch reiner Fantasy-Kram, und ich habe die gesehen, bevor ich wusste, dass es Star Wars gibt. In meiner Erinnerung werden das wohl immer zwei verschiedene Ewok-Manifestationen sein, die aus der Serie und die aus RotJ, die nicht viel miteinander zu tun haben (weswegen ich sie im Text oben auch mal außen vor gelassen habe).

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