Spoil me, baby!

Der Spoiler war dieser Tage gefühlt das größte Verbrechen, das man an der Menschheit begehen konnte. Kennt man ja von Harry Potter oder Lost, aber diesmal hat das Ganze so gigantische Ausmaße angenommen, dass kaum jemand einen inhaltlich angehauchten Piep über das sehnlichst erwartete Werk von sich gibt – es geht natürlich um Star Wars: The Force Awakens.
Ganz allmählich und begleitet von vielen Warnungen kriechen sie aus den Löchern, die Leute, die sich auch etwas anderes sagen trauen als „garantiert spoilerfreie Meinung“.

Während dieses einhelligen Stillschweigens und Geheimnistuns, das natürlich auch von offizieller Seite zelebriert wurde, frage ich mich inzwischen – was ist ein Spoiler?
Eigentlich geht es ja meistens um krasse Wendungen in der Handlung: Xy stirbt, ich bin dein Vater, der Mörder ist immer der Gärtner und so weiter, wie dieses T-Shirt-Design (Vorsicht, Spoiler!) von Olly Moss sehr schön demonstriert. Bei Star Wars war es jetzt plötzlich – alles. Wer, wie, wo, was, wann, kein Schnipselchen wollte man wissen, so dass die ersten Kritiken oft reine Gefühlsbarometer waren (was für den Film auch eine grandiose Herangehensweise ist).
Schuld ist an der Spoilerhysterie natürlich das Internet, denn in grauen Vorzeiten konnte man den einen Freund, der immer alles ausgeplaudert hat, irgendwie bremsen, oder man ging eh gemeinsam ins Kino. Jetzt spült es einem relativ ungefiltert alles in die Feeds sozialer Medien, und bevor man die Freundschaft kündigen kann, hat man es schon gelesen.

Dabei ist der Spoiler an sich bzw. die Frage danach, warum er so zum Fürchten ist, ein kleines Paradox (und ein Lehrstündchen in Erzähltechnik): Was heißt denn spoilern? Was muss man so frisch genießen, dass es durch ein paar Worte zu viel gleich verdirbt?
Man kann nur etwas spoilern, dem man auch entgegenfiebert. Je mehr man fiebert, umso fieser der Spoiler. Man will etwas unbedingt wissen, ein Geheimnis ergründen, erfahren, wie die Dinge sind – aber ja nicht zu früh. Das Verbrechen der Spoiler: Sie lösen Erwartungen auf und bringen Gewissheit. Die Neugier möchte jedoch gestillt werden, deswegen sind Spoiler auch so gefährlich, denn könnte man nicht doch nur einen kleinen Blick …? Aber nein, alles zu seiner Zeit, und es gibt nur einen, der der Freude an der Ungewissheit ihr offizielles Ende setzen darf: Der Urheber, Autor, Regisseur. Der, der die Wahrheit kennt. Yippie, Deutungshoheit! 😉

Ob sie anfällig für Spoiler ist, sagt allerdings auch etwas über die Geschichte aus. Deswegen ist vielleicht doch nicht das Internet allein schuld, sondern auch eine vorherrschende Erzählweise, die ein bisschen dem Siegeszug der TV-Serie geschuldet ist: Es wird viel gerätselt, man puzzelt sich aus kleinen Hinweisen Theorien zusammen und will sich den Erfolg bzw. die Auflösung dann auch nicht nehmen lassen – und es wird rabiat gemeuchelt, längst nicht mehr nur an Nebenfiguren, und mit rabiaten Wendungen versucht, nochmal etwas neu und anders zu machen. Spoileranfälligkeit könnte auch bedeuten, dass Geschichten vor allem von ihrem Überraschungspotential leben und weniger von ihrer Tiefen- oder Langzeitwirkung.
Star Wars ist aber sowieso alles andere als ein Rätselspielchen im Stil von Lost. Und deswegen auch diese allumfassende Spoilerangst, die weit über das Gewohnte hinausgeht. Nach den ersten Trailern hatten viele Fans Hoffnung auf ein nostalgisches Kinoerlebnis, das nochmal wird wie früher. Und dafür war es wichtig, möglichst unbeleckt von allem Wissen hinzugehen, den Film noch einmal mit Kinderaugen zu sehen. Derselbe Anreiz also, aus dem heraus die ein oder andere Buchhandlung Bücher mit eingepacktem Cover verkauft. Spoiler oder Meta-Spoiler, das ist hier die Frage.

Abgesehen davon, dass sich nicht von der Hand weisen lässt, dass die meisten Geschichten schöner sind, wenn man sie erzählt erlebt, statt sie als Faktensammlung präsentiert zu bekommen, kann man anhand der Spoilerängste erkennen, wie gut man daran tut, nicht zu schnell alles zu klären und aufzulösen und das Publikum Erwartungen aufbauen und eine Weile aufrechterhalten zu lassen.
Eher auf der Meta-Ebene angesidelte ist die Angst, sich etwas durch zu hohe Erwartungen und zu viel Vorabwissen zu verderben. Ein schmaler Grat, auf dem der Popkulturkonsument da wandelt. Denn Erwartungen kommen nicht aus dem Nichts, sie brauchen zumindest ein bisschen Substanz, aus der heraus sie entstehen können. Im Fall von Star Wars war das einfach, weil die Substanz mehr oder weniger präsent im Allgemeinwissen herumschwirrte. Bei Geschichten, die nicht auf 35 Jahre ihrer eigenen Lore zurückgreifen können, ist das Erzählen wie immer ein schwieriger Balanceakt zwischen vage und konkret. Und das ist genau das Spannungsfeld, das auch das natürliche Habitat des Spoilers darstellt – deshalb lohnt sich die Erforschung dieses possierlichen geschichtenzersetzenden Nagers vielleicht.
Denn wie es jetzt kurzzeitig bei Star Wars zwei Clubs gibt – beim einen spielt man mit Erwartungen, Rätseln, Hype und Imagination, und beim anderen mit Diskussionen, Vergleichen, Bewertungen und dem Ausdeuten – gibt es zwei völlig unterschiedliche Arten, eine Geschichte zu genießen. Die guten haben für beide Clubs etwas im Angebot.
Und ist ein guter Autor am Ende nicht einfach jemand, der sehr, sehr professionell und elegant spoilert?

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