Das Glas ist halb voll: The Force Awakens

Mainstream-Blockbusterkino kann per definitionem keine Vision, kein ganz großer Wurf, keine artistische Reise zu neuen Ufern sein, sondern muss ein großer, niedrigschwelliger Kompromiss werden: Es soll alle ins Kino locken und allen glänzende Augen machen.
Bei diesem faszinierenden Monster hat unter anderem George Lucas’ Star Wars Geburtshilfe geleistet – und The Force Awakens ist ein lupenreiner Vertreter der Gattung. Meine Beurteilung fällt damit zwangsläufig uneinheitlich aus: Ich bin beruflich sehr häufig im SW-Universum unterwegs und kann mich auch stets dafür begeistern, aber hier stehen Gänsehautmomente ganz dicht neben erzählerischen Stolpersteinen, die man teils locker hätte vermeiden können, und das ist angesichts der vielen famosen Elemente von TFA einfach schade.
(Hier kommt der Punkt, an dem alle, die noch keine TFA-Spoiler lesen wollen, langsam die Biege machen sollten …)

Schon im Vorfeld wurde geschickt inszeniert, dass man “echtes” Star Wars zu sehen bekommen würde, wie man es aus unbeschwerteren Zeiten kennt. Genau das wird dann auch tatsächlich geliefert, aber zu einen Preis.
Der Preis ist interessanterweise nicht, dass die neuen Figuren zugunsten der alten Helden zu kurz kommen. Allen voran Rey strahlt durch den ganzen Film hindurch, hat nicht nur musikalisch ein wundervolles Theme von John Williams erhalten, sondern ist Märchenheldin durch und durch wie einst Luke Skywalker – und ja, es ist eine Freude, diese Art Heldenreise endlich einer Frau auf den Leib geschrieben zu sehen, und in der Szene, in der es sich wirklich, wahrhaft, unmissverständlich bestätigt, dass sie die Auserwählte ist und nicht doch irgendeiner der anderen sich anbietenden Kandidaten, hat man einen großen Kloß im Hals, wenn man darauf schon so lange wartet. Da kann man beinahe verschmerzen, dass die lichtschwertschwingende Leia ein Wunschtraum bleibt. Denn auch die alten Heroen sind würdig und charmant im Film repräsentiert: Leia mit einer nahezu unfassbaren Ähnlichkeit zu ihrem früheren Selbst in Mimik und Haltung, Han Solo als müder Krieger, bei dem man hofft, dass die “ich habe genug getan”-Haltung wirklich nur gutes Schauspiel ist.
Vor allem der erste Teil des Films – als sich auf dem Wüstenplaneten die Dinge noch herauskristallisieren und man erste Ahnungen bekommt, wohin die Reise geht – sind pure Magie. Die neue Charakterriege hat eine stimmige Chemie, die Szenen haben ein gutes Pacing und die Aufbruchstimmung steckt an.

The Firce Awakens -MerchandisingAber früher oder später – spätestens beim ersten Einsatz des Starkillers – merkt man, dass man nicht weiß, was eigentlich faul ist im Staate Dänemark – und wo liegt dieses Dänemark überhaupt? Es gibt eine Republik und irgendwo radikalisierte (!) imperiale Reste. Existiert zwischen denen eine Grenze, ein kalter Krieg, ein Guerrillakrieg? Und wozu dann noch ein Widerstand? Wir erfahren auch kaum Namen von Orten oder bekommen eine Vorstellung von Dimensionen (auch zu einem Ort, der angeblich außerhalb allen bekannten Kartenmaterials liegt, ist es nur ein Sekunden-Hyperraumsprung). Namen und die Lokalisierung von Orten geben aber Halt in der Geschichte und das Gefühl, dass die Galaxis mehr ist als eine Kulisse – auch wenn wir mit den Namen nicht viel anfangen können (“Mos Eisley. You will never find a more wretched hive of scum and villainy. We must be cautious.”).
Dass die Gesamtsituation durchaus einen Sinn ergibt, erfährt man nur in Begleitbüchern zum Film. Dabei hätte es kein Politikseminar und nicht mal eine dröge Sequenz wie bei The Phantom Menace gebraucht, um zumindest kurz die Natur des Konflikts zu präzisieren. Langwierige Action mit Tentakelmonstern kürzen und dafür die Basics erklären, und schon hat das Ganze etwas Struktur.
Ähnlich schluderig ist die Rahmenhandlung erzählt: Luke Skywalker ist unauffindbar, hat aber günstigerweise eine Karte hinterlassen, allerdings in Einzelteilen verstreut über die Galaxis. Das hätte ein drittklassiger Gamemaster beim Pen&Paper-RPG nicht besser hinbekommen! Logisch völlig gaga, nur noch übertroffen von der deus-ex-machina-Lösung am Ende, als R2 ohne jegliche äußere Veranlassung aus seinem Kummerschlaf erwacht und das fehlende Kartenstück beisteuert. Dieser lazy-writing-Trend lässt sich in weiteren Details feststellen, so dass das Gefühl aufkommt, man müsse nur irgendwo hineinstochern, schon fällt das Gebilde in sich zusammen. Diesen Aspekt des Mainstreamkompromisses, der dem halbwegs wachen Zuschauer den Kopf tätschelt und sagt, hier, nimm die maue Story, das merkst du bei den bunten Bildern und tollen Effekten doch eh nicht, finde ich mit am schwersten zu schlucken.

Aber was wäre Star Wars ohne die Macht und ihre Nutzer? Die Guten sind ja weg oder gerade erst am Werden. Und die Bösen? Kylo/Ben ist ganz wie die übrige neue Heldenriege eine spannende Figur, mit der vieles anders gemacht wird. Gute Entscheidung, denn Fiesheitskonkurrenz für Darth Vader kann es ohnehin nicht geben. Einen unsicheren Teenager als Inkarnation des Bösen zu nehmen, einen, der nicht weiß wo er hingehört und sich nicht immer vorhersehbar verhält, das könnte großes Kino werden, auch in noch folgenden Teilen. Aber so sehr Kylo auch inszeniert wird (bzw. sich selbst inszeniert), er ist in keiner einzigen Szene furchterregend. In seinen Tobsuchtanfällen krümmt er keiner Fliege ein Haar (ist das Disney oder der Sog der hellen Seite …?), und woraus genau sich seine Befehlsgewalt ergibt, kann man nur raten. Als Kylo dann wirklich töten und dem Publikum Tränen in die Augen treiben darf, hat die Szene zwar ihre innere dramatische Logik, die sie nur so enden lassen kann, aber mitsamt dem schwerfälligen Symbolismus hat man doch das Gefühl, dass hier erzählerisches Potential verschenkt wurde. Wie man liebgewonnene Figuren wirklich mit einem würdigen Abgang meuchelt, hätte man sich zum Beispiel auch völlig kindgerecht bei Pixars Inside Out abschauen können.
Die Macht an sich hat sich verändert. Vielleicht ist sie erwacht, wer weiß das schon, denn trotz des tönenden Titels wurde sie nicht thematisiert, sondern eher als zufälliges Gimmick eingestreut. Vorbei die Zeiten, in denen man sie mühsam erlernen musste, nein, die richtigen Kenntnisse stellen sich zum richtigen Zeitpunkt ein. Es kursiert von J.J. Abrams ein Zitat aus The Daily Show zum Start von Star Trek: Into Darkness, wo er sich darüber auslässt, die Philosophie bei Star Trek habe ihm früher nicht zugesagt. Nun ist Star Wars im Kern ja weniger Philosophie als vielmehr Mythologie, aber vielleicht mag Abrams ja auch keine Mythologie, denn die Macht wurde im Grunde auf ein Sammelsurium von Tricks reduziert. Die Fortsetzungen werden wohl zeigen, wie man sich die erwachte Macht fürderhin vorstellen darf.

Während also an der Oberfläche vieles gleich ist und auf der Retrowelle schwimmt, auf der man es sich in sorgenvollen Zeiten gemütlich machen kann, hat die innere Kohärenz etwas gelitten. Das einst wimmelnde, aber mysteriöse SW-Universum ist zumindest für mich ein bisschen seelenloser geworden, vielleicht, um mich der Beobachtung eines Freundes anzuschließen, weil TFA eher etwas bedienen möchte und nicht etwas sein will.
Auf Dauer bewähren kann sich TFA für mich wohl nur im Zusammenhang mit den Folgefilmen, die ein paar Patzer abfedern könnten. Die Gänsehautmomente und den Humor möchte ich aber trotzdem nicht missen: Mit Poe, Finn, Kylo und vor allem Rey ist die Übergabe an eine neue Generation zumindest auf Charakterebene geglückt. Wenn sie weiterhin so strahlen dürfen, ist TFA ein Kompromiss, mit dem ich im Großen und Ganzen leben kann.


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