Die schnellste Zunge der bekannten Galaxis zu besitzen, hatte seinen Preis: Auf sieben Welten des südwestlichen Sektors war eine Belohnung wegen ungebührlichen Betragens auf ihn ausgesetzt – auf einer davon sogar in Form von deliziösen dreifach geschmorten Glasfliegenbeinen, was ihn mehrfach in Erwägung hatte ziehen lassen, sich selbst auszuliefern, aber er konnte nicht – konnte einfach nicht – die nächsten Jahre faul (und bei einer Kost, mit der sich ein halbes batrachisches Flugboot kaufen ließ) im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses logieren (dort, wo alle Oberflächen so glatt waren, dass Zungenhaftung völlig ausgeschlossen blieb), während sein Erzfeind auf freiem Fuß war. Sicher, ihre Fehde war auch dieses Jahr unter den Top-5-Risiken des interstellaren Friedensrates gelistet, hatte mehr Kollisionen verursacht als das Kaskadenraumbeben und die öffentlichen Kassen auf eine Weise belastet, über die niemand mehr großzügig hinwegsehen konnte. Aber jede Kaulquappe auf jeder Welt wusste, dass Space Frog für das Gute kämpfte, für die Freiheit, jederzeit aus dem Wasser schnellen zu können, ohne furchtsam nach oben zu blicken – und Doc Heron war der Schatten, der über ihre Köpfe hinwegstrich, der Herr der tausend amphibischen Tode, der stets neue Methoden ersann, die Vorherrschaft der Lurche zu unterminieren.
Seine jüngsten Schandtat fand in aller Stille fern der glitzernden Feuchtwelten statt, in einem abgelegenen Winkel des Universums, wo er eine wahre Geißel der Froschheit ausgebrütet hatte: Eine tückische Pilzkrankheit, die ihre Opfer austrocknete wie einen Waldteich im Sommer. Es verstand sich von selbst, dass Space Frog dieser Sache auf den Grund gehen und Doc Herons Spur folgen musste.
Es handelte sich in der Tat um eine Welt, die wie geschaffen war, um die Wirksamkeit der unaussprechlichen Waffe unentdeckt zu testen und zu verfeinern, denn es war dort nicht gut um die amphibische Herrlichkeit bestellt. Space Frogs Gattungsstolz musste einige Dämpfer erleiden: Als Testobjekt (nicht nur in Doc Herons infernalischen Laboren), als primitives meteorologisches Hilfsmittel, ja, sogar als Delikatesse diente seine Verwandtschaft hier, auf einer Welt, auf der die Evolution sich einen Scherz erlaubt und jene verschnörkelten Überentwicklungen die Vorherrschaft übernommen hatten, die sich mit Lebendgeburten und anderem Schnickschnack herumplagen mussten. Ja, sie flogen ins All … so wie man von seinem Humidomizil auf die Türschwelle trat, um mit einer Flosse die Außentemperatur zu prüfen. Und sie schickten Hunde – Hunde und Affen –, anstatt sich auf eine Spezies zu stützen, die von Natur aus an das Leben in unterschiedlichen Habitaten angepasst war.
Die Regierungsagenten von Tümpel I und IV waren natürlich längst vor Ort und hatten es mit ihren unkreativen Methoden bereits ins Trockene gesetzt. Sie hatten es geschafft, eine Vogelpest zu lancieren (billige Rache, über die Doc Heron sicher nur kalt lächelte – als ob er sich wegen gekeulter Artgenossen ein Federchen gekrümmt hätte), und versucht, ihn mit einem nicht gänzlich misslungenen Propagandafeldzug in Furcht und Schrecken zu versetzen, indem sie dafür sorgten, dass in den öffentlichen Netzen der größten Feind der Vogelwelt nahezu omnipräsent war (Space Frog musste hier immerhin anerkennen, dass es den Agenten gelungen war, die Einheimischen zur Verbreitung der Angst-Propaganda zu einzusetzen, wozu sich diese dem Stammhirn allzu lang entwöhnte Spezies auch bereitwillig manipulieren ließ). Einen Doc Heron lockte man damit freilich nicht aus der Reserve.
Space Frog hingegen präferierte subtilere Vorgehensweisen.
Als er sich in das nur für flugfähige Entitäten (oder Frösche mit kräftigen Zungen und keiner Scheu vor Ballonfahrten) erreichbare Laboratorium des Schurken einschleuste, um den molekularen Aufbau der Froschplage auszuspionieren, wurde ihm nicht nur kalt vor Grauen: Der Rückweg war unschön und führte über die Liquidmüllgefrieranlage, aber immerhin war es nicht das erste Mal, dass Space Frog sich einfrieren ließ, und während des schmerzhaften Auftauprozesses lenkte er sich mit Gedanken daran ab, was wohl die Gazetten im Aquanetz über sein Abtauchen unkten: Space Frog in Falle gehüpft? 981 Kaulquappen wollen vom Superfrosch abstammen und stellen Erbansprüche!
Nun, die konnten sie stellen, wenn er den Sonderpreis der Quarksquaker-Wissenschaftskongregation gewonnen hatte, denn die Strukturformel, die er aus dem Laboratorium mitgebracht hatte, überforderte beinahe den Sumpf seines Verstandes. Wie so oft war es nicht unbedingt die Herstellung des Heilmittels, die das eigentliche Problem darstellte – aus dem Hautsekret eines offenbar immunen Salamanders, den er aus Doc Herons Terrarien befreit hatte, und einigen handelsüblichen Molekulartransformatoren sollte sich etwas Geeignetes herstellen lassen, um die Lurchpopulation dieser Welt zu therapieren und die Seuche somit im Keim zu ersticken. Die Maximierung der Wirksamkeit und Ausbringung des Serums war jedoch ein anderes Kaliber. Man benötigte sowohl große Hitzeeinwirkung, um die Reaktion zu aktivieren, und dann eine rasche Verteilung der Moleküle über die Stratosphäre der Welt.
Zunge und Stammhirn würden auch dieses Problem lösen, dessen war er sich sicher, aber er musste sich beides zermartern (ersteres allerdings nur aus Langeweile und weil es ihm beim Denken half), um auf die naheliegende Lösung zu kommen. Hunde und Affen! Die primitive Raumfahrt der Einheimischen mit ihren uneleganten Verbrennungsvorgängen mochte doch noch zu etwas nützlich sein, und wenn alles gut lief, konnte er gleichzeitig auch die erste Etappe seiner Heimreise antreten.
Die größte Schwierigkeit dabei, sich bei der örtlichen Raumfahrtbehörde einzuschmuggeln, war, einen niederen Handlanger-Job zu ergattern, der ihm Zugang zum Treibstoffaggregat gewähren würde, statt mit einem Platz auf dem Kommandosessel bedacht zu werden, wie es seinen natürlichen Talenten entsprach. Es war nicht leicht, sich die Überqualifizierung nicht anmerken zu lassen, aber ein falscher Schnurrbart und ein ländlicher Quakzent manövrierten ihn schließlich auf einen Posten beim Pflegepersonal des Kühlwasserteichs der Raketenabschussanlage.
Bis zum nächsten Start blieb genug Zeit, alle Abläufe auszuspionieren, denn die Primaten verirrten sich allzu oft in ihrer großen Hirnmasse und waren daher fehleranfällig, was sie auszugleichen versuchten, indem sie nur bei optimalen Umständen überhaupt einen ihrer spitzen Finger rührten. Space Frog wusste dagegen, dass das Wort „optimal“ in keinem der 42 bislang entschlüsselten Gesänge des Universums auftauchte, nicht einmal als entferntes Synonym, und war auf alles vorbereitet.
In der entscheidenden Nacht war alles war voller Kameras, die überwachten, dass keine essentiellen Teile der Rakete abfielen, und Space Frog musste sich mit einem geschickten Manöver anschleichen, nachdem er seinen Posten am Teich verlassen hatte. Er nutzte die nächtliche Dunkelheit, um von einer Stahlstrebe der Startrampe zur nächsten zu hüpfen, wo er sich hinkauerte, umsah und dann weiter vordrang. Kurz vor dem etwas gewagteren Manöver, sich auf die Rakete selbst zu schmuggeln, blieb er noch einmal stehen, um die Augen zu schließen und sich zu sammeln. Doch seine Gedanken ließen sich nicht beruhigen, und das war letztlich seine Rettung. Seit wann, fragte er sich unterbewusst, haben Metallstreben zwei lange, dürre Beine? Seine alles andere als dürren Beine pumpten bereits (gelobt sei das Stammhirn!), während der Gedanke noch nachhallte, und Doc Herons Dolchschnabel hackte mit einem dumpfen Geräusch auf den Stahlträger ein, vor dem er eben noch gestanden hatte. Seine Infiltration war also nicht unbemerkt geblieben! Doch davon konnte er sich jetzt, so nah am Ziel, nicht aufhalten lassen. Er nutzte die kurze Benommenheit, die seinen Erzfeind ergriffen hatte, und drängte ihn mit einer Kombination aus wohlplatzierten Kicks und klatschenden Flossenschlägen zurück. Doc Heron umtänzelte ihn auf Stelzenbeinen, der scharfe Schnabel lieferte den Staccato-Rhythmus dazu. Ihr Ballet wurde bei jedem Schwenk der Kameras unterbrochen, wenn sie stocksteif standen und mit den Streben zu verschmelzen versuchten. Der Trick war, ihn nahe kommen zu lassen, ihn zu einem unvorsichtigen Angriff zu verleiten. Dann schnellte Space Frog nach vorne, spürte noch den Luftzug des zustoßenden Schnabels und umklammerte den grazilen Hals seines Gegners mit Schenkeln, die schon im Sumpf seines Schlüpfens die berüchtigten Schlammbarracudas von Tümpel IV zugeritten hatten. Doch wie immer blieb ihm keine Zeit, es zu Ende zu bringen.
Wenn er sich noch länger aufhalten ließ, hätte sein Erzfeind letztlich doch noch gesiegt, und dazu durfte es auf keinen Fall kommen. Space Frogs Zunge schnellte vor.
9 …
Zwei, drei Schwünge an den Metallstreben, höher, immer höher. Morgen scheint die Sonne, hätten die Primaten gesagt, hätte er sich nicht peinlich aus dem Aufnahmewinkel ihrer Kameras gehalten.
8 …
Ein großer Sprung für die Froschheit, hinüber auf die Außenhülle der Rakete.
7 …
Hier war das Überwachungsnetz dichter, und er musste sich verstohlen nach oben hangeln.
6 …
Er hatte vorab berechnet, wo er das Serum injizieren musste, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Aber eine Nanonadel war nun einmal ein Präzisionswerkzeug und keine Zauberei.
5 …
Die Rakete unter ihm begann immer stärker zu vibrieren, und es dämmerte ihm, dass die Zeit wohl nicht reichen würde, sich in die Kapsel zu schmuggeln und dieser verschlafenen Welt Adieu zu sagen.
4 …
Durch! Das Serum war injiziert, den Rest der Arbeit würde die Verbrennung übernehmen und dafür sorgen, dass sich der Wirkstoff zusammen mit den Abgasen überall in den oberen Luftschichten verteilte.
3 …
Die Rakete rüttelte inzwischen so stark, dass auch elegante Schwimmhautfüße nicht mehr viel Halt fanden, aber es gab zum Glück noch die Zunge. Er ließ sie vorschnellen, an einem möglichst weit entfernten Punkt anhaften …
2 …
… stieß sich kraftvoll ab, um Schwung aufzubauen, und …
1 …
… zum Teufel mit der Subtilität. Man musste auch einmal eine überdimensionale Schlagzeile wagen! Die Chance, dass sie aus diesem Altwasser der Galaxis überhaupt herausdrang, war gering, und beinahe tat es ihm leid.
Hinter ihm stieg die Rakete mit dem Heilmittel der Froschheit in die Dunkelheit auf, doch er schaute sich nicht um. Space Frog blickte nach vorne, und vor ihm lag eine rückständige, ursprüngliche Welt. Während sich mit einem harten Ruck der Bremsfallschirm öffnete, dachte er darüber nach, was er erkunden würde: Sollte er die juwelenfunkelnden Frösche in den äquatorialen Waldresten bewundern? In das Sirenenquaken aus den Teichen der nördlichen Hemisphäre einstimmen? Artgenossen und Erzfeinde warteten an den Gewässern dieser Welt, und für einen Frosch seines Kalibers gab es viele Wege zu den Sternen.