Jonah Lehrer: Imagine!

Imagine! von Jonah LehrerIch bin ehrlich: Leute, die mir erklären wollen, wie das Gehirn funktioniert, haben einen schweren Stand. Ich bin kein großer Fan der teils präskriptiven Gültigkeit, die wir den Erkenntnissen der Neurowissenschaften zugestehen, und habe das Gefühl, dass damit viel Schindluder getrieben wird.
Imagine!, das sich dem Untertitel nach aus diesem Umfeld bedient und auch noch die Kreativität durchleuchten will, habe ich daher nur auf vehemente Empfehlung hin gelesen – und war angenehm überrascht.

Das Buch funktioniert vor allem als Anekdotensammlung, die systematisch Einblicke ins Leben und Schaffen kreativer Personen gibt, von denen man schon sehr viel gehört hat (Steve Jobs oder Bob Dylan) oder von denen man eher noch nichts gehört hat (bildende Künstler, Werbeschaffende, Surfer), außerdem in die kreativen Prozesse bei Unternehmen, die auf Innovation angewiesen sind. In diesen Zusammenhang reihen sich nahtlos auch die neurowissenschaftlichen Experimente und am Beispiel erläuterten Erkenntnisse, die in den Text Eingang gefunden haben und die als weitere Anekdoten fungieren, anhand derer man durchaus Kurioses und Interessantes über kreative Abläufe erfährt.

Imagine! erzählt also eine Menge Geschichten. Zusammen mit dem sehr angenehmen Stil und einem Autor, der alle interviewten und vorgestellten Kreativen mit großem Respekt behandelt, so merkwürdig ihre Fälle teils auch sein mögen, ergibt das eine ansprechende und unterhaltende Lektüre. Man kann sich aus den vielen Beispielen aus Kunst und Industrie aber auch einige Ansätze für die eigene Kreativität herausholen. Das Rad wird dabei nicht neu erfunden, aber die systematische Aufbereitung der verschiedenen Herangehensweisen eröffnet einem vielleicht bessere Möglichkeiten für den Einsatz von Erkenntnissen, die man auch selbst schon hatte. Wer zum Beispiel immer schon wissen wollte, warum die besten Ideen beim Zähneputzen kommen, wird auf diese Frage genauso eine Antwort finden wie auf die, wann hartnäckiges Festbeißen die richtige Vorgehensweise ist und wann man besser zurücktreten und sich ablenken sollte.
Jonah Lehrer plädiert dafür, nicht auf Mysterien und Musenküsse zu warten, weil auch sie bestimmten Mustern folgen und man sie zwar nicht erzwingen, aber ihnen doch den Boden bereiten kann.
Die gern gewählte Möglichkeit, der Kreativität mit Pharmazeutika auf Sprünge zu helfen, wird im Rahmen der Beispiele genauso abgehandelt wie die immer wieder wichtige Einsicht, dass das Scheitern und Verrennen in Sackgassen zum Teil des kreativen Prozesses gehört. Den letzten Teil von Imagine! bildet ein Abschnitt über kreative Arbeit in größeren Teams.

Im besten Fall bringt Jonah Lehrers kurzweiliges Büchlein also einige durch Beispiele unterfütterte neue Einblicke in verschiedene Formen der Ideenfindung – im schlechtesten Fall ist man um etwas unnützes Wissen und ein paar spannende Geschichten über Erfindungen und Kunstwerke reicher und kann sich davon motivieren lassen und die eine oder andere Idee mitnehmen, was für Methoden man ausprobieren könnte.
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Jonah Lehrer: Imagine! Wie das kreative Gehirn funktioniert (übersetzt von Enrico Heinemann), 271 S., ISBN: 978-3-406-63731-5

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