Ein Artikel bei Zeit online erörtert die Probleme beim Erzählen eines Computerspiels: Wie kann man gleichzeitig eine kohärente Geschichte und Entscheidungsfreiheit für den Spieler oder die Spielerin (etwa gar schon beim Entwurf der Figur) haben? Welche Typen von Geschichten eignen sich überhaupt für Spiele?
Warum nicht mal eine schüchterne Nonne spielen stellt einige Theorien vor und fragt indirekt, was eigentlich eine Geschichte ausmacht.
Was für Auswirkungen hat es aufs Erzählen, wenn die Rezipienten den roten Faden heillos verheddern, abschneiden oder gleich lieber den blauen Faden nehmen können? Wie viel Faden kann man ihnen eigentlich guten Gewissens überlassen, damit die Geschichte noch als Geschichte erkennbar bleibt?
Trotz einiger Lichtblicke sind Spiele erzählerisch meist weder innovativ noch besonders eindrucksvoll, man merkt häufig, dass die Kreativität vor allem in visuelle Effekte und Steuerung geflossen ist. Die Möglichkeiten des Mediums werden bisher lediglich angekratzt – aber der Artikel ist mit der schüchternen Nonne schon einem (von vielen) interessanten Ansätzen auf der Spur: Spiele sind ein Weg, sich mit fremden Lebenserfahrungen auseinanderzusetzen, wie z.B. einige Games zeigen, die spielerisch und jeweils völlig unterschiedlich nachvollziehbar machen wollen, was bei Depressionen geschieht.
Dass übrigens Romantik in Games keine große Rolle spielt (es ist aber interessant, dass sie in anderen Kulturkreisen durchaus ein Thema ist!), kann eigentlich nicht verwundern, auch wenn der Artikel unerwähnt lässt, dass (trotz vieler Spielerinnen) häufig Geschichten von Männern für Männer produziert werden und bei den Frauenrollen so viel schiefhängt, dass eine sinnvolle Einbindung von guten Liebesgeschichten (statt Frauen als Trophäen oder Plot-Motoren oder Eye Candy) nahezu ausgeschlossen ist, von etwaigen queeren Ansätzen ganz zu schweigen. Dazu vielleicht einfach mal bei Feminist Frequency stöbern, wo es viel Material über dieses erzählerische Fiasko gibt.
Games sind, wie im Artikel erwähnt, ein junges Medium, und eines, das durch die enormen Produktionskosten bei aufwendigeren Titeln vielleicht noch mehr als jedes andere auf den Massengeschmack und kleinsten gemeinsamen Nenner zielt und bewährte Konzepte gnadenlos für ein angenommenes nicht sehr breit gefächertes Publikum aufkocht.
Der Vergleich mit dem Film ist dabei sehr kurz gesprungen, denn die Gemeinsamkeiten hören schnell auf, wenn man mehr Parameter einbezieht, als dass beide aufwendige audiovisuelle Medien sind. Vielleicht täten Spiele-Entwickler gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass es sich nicht um Filme mit selbst steuerndem Hauptdarsteller handelt, und sich auf die Eigenheiten des Mediums zu besinnen: Das Mitbestimmen ist die Geschichte, und am besten sind häufig jene Spiele, die, statt auf immer grandiosere Grafiken zu setzen, einbeziehen, dass das Gehirn ein Geschichtenerzähler ist und Menschen sich ihre Geschichten mitunter gern selbst zusammensetzen: Wenn man ihnen den Raum lässt (z.B. in Limbo und überhaupt häufig in Indie-Games), weben sie sich mit Begeisterung ihren eigenen roten Faden.
Das Thema “Roter Faden” bewegt sich schon seit Jahren auf der selben Spur, wie ich finde, und wird sich davon auch nicht wirklich weg bewegen.
Die Entwicklung, wie Du sagst, immer mehr hin zu visuellen Meisterwerken und weg von toller, nachvollziehbarer Story ist leider – denke ich – nicht mehr umkehrbar (siehe Skyrim, welches hier mal als Paradebeispiel für sämtliche Rollenspiele dieser Art gelten soll).
Gewünscht ist eine möglichst geile Grafik und möglichst viele Side-Quests, wobei gerne in Kauf genommen wird, dass man die vollkommen platte Hauptstory (die man so als solches nach dem Prolog wieder vergessen wird) auf einer DinA5 Seite runergeschrieben hat.
Wie man sich in der Welt jedoch verlieren kann, sodass die Story vllt irgendwann überhaupt nicht mehr das Ziel ist zeigt z.B. Shenmue für den Dreamcast damals. Hatte man hier vielleicht zu viele Möglichkeiten?
Auf der anderen Seite gibt’s aber auch die Fraktion Spieler, die immer mehr auf interaktive Spiele wie Heavy Rain etc. stehen und mehr danach streben. Spielen in denen man viele, viele kleine Entscheidungen innerhalb eines mehr oder minder festen Erzählkonstrukts treffen kann.
Auf der einen Seite ist es gar nicht überraschend, dass das Videospiel eher noch das männliche Publikum anspricht, da es wie du sagst bewährt ist oder, da die “Demografie der Zocker” immer noch überwiegend männlich ist?
In den Entwicklerteams sind Frauen immer noch in der Unterzahl, aber die Anzahl Frauen steigt definitiv. Vielleicht kann mn ja in den nächsten 10 Jahren eine Änderung beobachten.
Alles in allen bin ich schon lange weg von Computerspielen und spiele nur ganz selten noch, einfach weil mich das meiste schon gar nicht mehr interessiert. Einzige Ausnahme sind eben auch Indie-Games und die mMn überragenden Telltale Games: The Walking Dead und The Wolf Among Us.
Ha, mit dem Artikel hast du mich im völligen Spielerausch überrascht. 😉
Ein sehr spannendes Thema. Ich stimme auch McClane zu, dass beispielsweise Skyrim keine nennenswerte Hauptstory bietet – was das Spiel dennoch in meinen Augen hervorhebt, ist die großangelegte Nicht-Geradlinigkeit der Welt, in der man sich in unendlichen Nebenquests verstricken kann. Der rote Faden ist in Skyrim eher die Flammensäule, die aus dem Maul eines Drachen schießt und den unverantwortlichen Abenteurer von Zeit zu Zeit daran erinnert, dass man sich mal um dieses Hauptproblem kümmern sollte.
Auch wenn die einzelnen Questreihen (Hauptquest oder Magiergilde zB) für sich keine besonderen, erinnerungswürdigen Geschichten bilden, so ist das große Erzählwollknäul, was sich entlang und vorallem fernab des Weges spinnt, für mich ein großes Positivbeispiel für spannende Erzählstrukturen innerhalb eines Spieles.
Was man vielleicht nicht vergessen darf, ist, dass die “großen” Geschichten, wie wir sie aus der Literatur kennen, oftmals deshalb so spannend sind, weil wir sie aus verschiedenen Perspektiven sehen und bewerten können. Wir sehen und lesen aus verschiedenen Augen und erblicken eine Geschichte in vielen Facetten.
Wähle ich nun eine Spielfigur, habe ich eine Sicht auf die Welt, und eine Sicht auf die Hauptgeschichte ist zwangsläufig enger, als wenn man mehrere Sichten aktiv einnimmt. Auch wenn ich mich in andere Perspektiven einfühlen kann (in Skyrim zB zwischen Kaiserlichen und Himmelsrändlerin im Bürgerkrieg hin und her schwanke), so handle ich dennoch *einmal*. Vielleicht erscheinen große Weltuntergangsplots deshalb so geradlinig, da man als HandelndeR genau eine (Helden)Position vertritt (und eben nicht für eine Stunde aus der Perspektive des Gasthausbesitzers in der Pampa spielt, der aufgrund des Krieges um sein Geschäft bangt, o.ä.).
Das ist jetzt eine sehr wilde These und ich möchte damit auch nicht sagen, dass Erzählung aus nur einer Sicht langweilig oder geradlinig erscheinen müssen. Doch da ein Spiel nun nicht aus Denken, sondern aus Handeln besteht (im Sinne davon, dass wir im Spiel nicht auf Innensichten oder große Überlegungen angewiesen sind), muss die Verzweigung vielleicht eben nicht in der “Hauptgeschichte” liegen, kann es vielleicht auch gar nicht richtig. Eine ausgeklügelten Visualisierung (wie bei Limbo) kann die Geschichte mittragen; tatsächlich passt das perfekt zu deinem letzten Artikel, finde ich: bei Limbo wurde viel weggelassen (optisch wie erzählerisch) und lässt dadurch viel Raum zum gedanklichen Weiterweben.
Derart wirre und ungeordnete Gedanken gebe ich jetzt erst mal zur Diskussion. 😀
Eine Ergänzung zum Denken vs. Handeln noch, damit ich nicht mehr Verwirrung stifte, als ich wollte: damit meine ich wirklich gar nicht eine etwaige Gedankenleistung des Spielers in dem Sinne, dass man natürlich in (ich beziehe mich besonders auf Rollen-)Spielen nachdenken muss, um gewisse Rätsel zu lösen. Jedoch muss die Spielfigur keine Weltsicht, keine Emotionen haben, sondern vorallem eins tun: Handeln.
Ich hatte gestern Nacht auch schon ein déjà-vu und dachte, ich schreibe vielleicht schon wieder über dasselbe Thema wie letztes Mal.
Es wäre auf jeden Fall eine Möglichkeit, deutlich mehr als jetzt mit Leerstellen zu arbeiten (und die SpielerInnen einfach erzählen zu lassen). Gewissermaßen sind den Games die eigenen Entwicklungssprünge (grafisch-technischer Natur) in den Weg gekommen: Früher, als auf dem Gebiet noch nicht so viel ging, musste man deutlich einfallsreicher erzählen, um eine einnehmende Geschichte hinzubekommen und die SpielerInnen in Interaktion mit den noch abstrakteren Graphiken treten zu lassen, bzw. man brauchte interessante Konzepte und musste mehr ausprobieren, um aus bescheideneren Möglichkeiten etwas rauszuholen. (Loom, anyone?)
Es steht aber zu befürchten, dass McClane ganz recht hat und zumindest bei den Großproduktionen der Zug längst abgefahren ist, wenn sich kein Bewusstseinswandel einstellt, sprich, die Masse der Gamer nicht mehr auf die neuesten noch besseren Bilder abfährt, sondern auf innovative Konzepte. Aber das wird ja vermutlich ein Traum bleiben, egal in welchem Medium …
Interessant finde ich einen Vergleich zwischen den Medien aber schon – das mit den verschiedenen Perspektiven wäre z.B. spannend, ob man das umsetzen könnte. Wäre das überhaupt hinzubekommen, dass es gefühlt einen Unterschied macht, ob man der Held oder der arme Wirt ist?
Der Fokus auf Handeln ist auch ein interessanter Gedanke, den gibt es wohl in diesem Maße in keinem anderen Medium … wobei gefühlt auch hier noch mehr drinstecken müsste als *baller* *hüpf* *duck* *hau* *benutze Regenwurm mit Flaschenöffner*