Matt Madden: 99 Ways to Tell a Story – Exercises in Style

Blogger und (Comic-)Künstler Matt Madden nahm sich 2005 die Prämisse des Klassikers Stilübungen von Raymond Queneau vor – eine im Grunde banale kurze Geschichte auf 99 verschieden Arten zu erzählen – und übertrug sie auf ein anderes Medium: 99 Versionen eines einseitigen Comics werden variantenreich, mit verschiedenen Perspektiven, Zooms, in unterschiedlichsten Genres, unter Einbeziehung der Comic-Geschichte (bis zurück zum Teppich von Bayeux!) erzählt, ausgeschmückt oder bis zur Unkenntlichkeit reduziert.

Dadurch lässt sich einen Blick auf das Skelett einer Geschichte werfen (die gewollt weder signifikant noch lustig ist, sondern einfach ein zu Papier gebrachtes Ereignis, das die Auslegungswut relativ geduldig über sich ergehen lässt), und man kann sehr genau erkennen, was funktioniert und was nicht (denn nicht alle Stilübungen sind als Erfolg zu bezeichnen).
Die Einseiter bieten sich für eine häppchenweise Lektüre an und sind thematisch sortiert: vom Naheliegenden hin zum immer Verrückteren, mit benachbarten oder oft auch entgegengesetzten Stil-Ideen direkt hintereinander, was interessante Schlüsse über die Wirkung einzelner Elemente zulässt. Zum Teil ist es ein augenzwinkerndes Spiel mit Konventionen, zum Teil kann man sich überraschen lassen, welche neuen Aspekte der Geschichte kleine Änderungen im Set-up enthüllen. Ob man das Ganze als kurzweilige Unterhaltung liest oder genauer hinschaut, bleibt Lesern und Leserinnen überlassen: Die Variationen stehen ohne große Erklärung für sich, lediglich die Comic-Anspielungen werden in einem Anhang erläutert.

99 Ways to Tell a Story von Matt Madden99 Ways to Tell a Story richtet sich in erster Linie an Comic-Fans und -Künstler, denn es exerziert naturgemäß etliche Zeichenstile durch, aber eben nicht nur: die Geschichte wird zerlegt, zersetzt, entstellt, immer wieder neu geschaffen. Man kann deutlich sehen, dass es eigentlich keine „neutrale“ Erzählhaltung gibt – dass man in dem Moment, in dem man etwas wiedergibt, anfängt, mehr als nur die Fakten zu transportieren, und das ist an sich eine wertvolle Erkenntnis, zu der, wenn man sich mit der Materie befasst, noch das Aufzeigen erzählerisches Möglichkeiten und Beschränkungen hinzukommt. Ein spannendes Projekt; will man jedoch Anregungen fürs Schreiben daraus extrahieren, muss man sich ein bisschen bemühen.
Ein Ratgeber ist 99 Ways to Tell a Story nämlich nicht, diesen Anspruch stellt es auch nicht. Es ist vielmehr ein kleines Kreativlabor zum Durchblättern und Inspirierenlassen, denn 99 Arten, eine Geschichte zu erzählen, sind längst noch nicht alle.
fleuron_fb
Matt Madden: 99 Ways to Tell a Story – Exercises in Style, 224 S., ISBN: 9781596090781
Einige Beispiele der ursprünglich als Blog erschienen Serie kann man sich noch hier online ansehen. Matt Madden ist den Stilübungen übrigens treu geblieben, sein Projekt 20 Lines – jeden Tag 20 Linien zeichnen – geht zwar ebenso auf eine schriftstellerische Inspiration zurück, trifft aber keine Aussagen mehr übers Erzählen. Sehenswert ist es trotzdem!

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