Gestatten, C. Maulbeer

Premiere! Dass ich heute zum ersten Mal eine eigene Geschichte auf meinem Blog poste, hat einen besonderen Anlass: Ende letzten Jahres habe ich mit Juliana von Chrononauts Photography ein ungewöhnliches Shooting gemacht – das Portrait einer fiktionalen Figur. Dass wir uns zusammengesetzt und uns überlegt haben, wo und wie wir die Figur am besten darstellen, hat bei mir wiederum die kreativen Rädchen in Bewegung gesetzt, so dass wir sie jetzt zusammen in Text & Bild präsentieren können.
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Schild
Des Kaysers neue Bücher
Ein Wald sollte nicht so still sein wie eine Bibliothek, doch unter den Bäumen schien eine missgelaunte Aufsicht mahnend den Finger an die Lippen gelegt zu haben. Kalter Nebel hing vom Geäst und schluckte jedes Geräusch. Lediglich ein paar braune Blätter erzitterten in einem Windstoß, der wie aus dem Nichts durch das Laub fegte, dann kehrte erneut Ruhe ein. Dort, wo die Zweige zweier uralter Baumriesen sich berührten, verdichtete sich der Nebel zu einem flimmernden Vorhang – und wurde zerrissen, als aus diesem Flimmern eine Gestalt sprang, mit fliegenden Mantelschößen über bemooste Wurzeln stolperte, sich schlitternd umdrehte und schließlich stehenblieb, während das Flimmern schwächer wurde und bald darauf ganz verschwunden war. Die Gestalt brummte zufrieden, klopfte sich den Mantel ab, schulterte die Bücherstapel neu, die sie bei sich trug, und richtete die wild baumelnden Schilder an ihrem Wanderstab.

›C. Maulbeer‹, stand auf dem größten. ›Interdimensionale Kolporteurin. Fiktive, vergriffene und nie erschienene Literatur.‹ An allen drei Adjektiven war ein Sternchen, das weiter unten auf dem Schild aufgelöst wurde: ›aber nur in Ihrem provinziellen Heimatuniversum‹; ›Ihrem‹ und ›provinziell‹ waren unterstrichen.

Eine Elster flog auf und schimpfte aus vollem Hals, völlig ungerührt von der Tatsache, dass sie es mit einer bibliophilen Seele auf der Flucht zu tun hatte. Frau Maulbeer war noch nicht wieder genug zu Atem gekommen, um zurück zu schimpfen, daher stapfte sie so würdevoll wie möglich von dannen. Sie war gerade erst einem wütenden Mob mit Fackeln und Heugabeln entkommen, und in einer solchen Situation war Würde nicht zu unterschätzen. Aufs Rad hatten sie sie flechten wollen und ihre Bestände zu Rindenmulch verarbeiten! Rindenmulch – unerhört! Aber es ging ja immer nur um die Würde der anderen: Zensur, Sitten, verletzte Gefühle. In diesem Beruf war es so leicht, jemandem auf die Füße zu treten. Genau genommen war es sogar Familienehre, denn in der interdimensionalen Kolportage war kaum etwas nicht subversiv. Sogar dem Schweinkram wohnte ein nicht zu unterschätzendes agitatorisches Potential inne. Ach was, gerade dem Schweinkram! Nichts bewegte die Gemüter so sehr wie einander romantisch zugetane Tentakel. Romeo und Julia? Jederzeit. Romeo und Mercutio? Schon schwieriger. Romeo und Cephalopoden? Mob mit Heugabeln!

Kalliope sei’s gedankt, hatten Frau Maulbeers feiner Sinn für gesellschaftliche Misstöne und das gesicherte Wissen, welches Toilettenhäuschen ein Fenster auf der Rückseite hatte, ihre Bücher vor einer Zukunft als Rindenmulch bewahrt. Kein Buch und kein Pamphlet bleibt zurück, nur darauf kam es an.
Maulbeer
Aber nun war sie ja in den – bis auf die Elster – friedlichen Wäldern von Terra, einer zivilisierteren und gebildeteren Welt als der letzten. Hier würde man sie nicht mit ein paar erzürnten Bauern aufhalten können. Hier hielt man die Freiheit des Geistes und des Wortes in Ehren. Dies war eine Welt der … Anwälte. Einwanderungsbehörden. Feuilletonisten. Womöglich war Terra doch kein so zivilisierter Splitter des Multiversums. Auch nicht gerade ein literarisches Schlaraffenland, aber durchaus ein Verkäufermarkt. Zu dumm, dass ihre Bestände gerade ziemlich ausgedünnt waren, aber so war es nun einmal, wenn man sich auf der Flucht befand.

Und Frau Maulbeer wusste genau, wem sie das alles zu verdanken hatte – den Mob, die zur Neige gehenden Bestände, vielleicht sogar die Elster. Die Kunstbanausen jenseits des Tores waren nicht von allein darauf gekommen, dass einige (wenige!) von Frau Maulbeers Büchern den (viel zu strengen!) Zensurstatuten (vielleicht!) nicht ganz entsprachen. Jemand hatte sie verraten. Jemand, der Frau Maulbeer schon seit mehr als dreißig Welten aufs Korn genommen hatte, der sie ihr Packlama, ihre Lizenz zum ambulanten Handel und etliche gute Geschäfte gekostet hatte: der Zar, der Boss des Bibliotheksverbunds-Inkassos. Sie hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen (und so sollte es auch bleiben), aber sein oberster Bluthund und dessen Agenten waren ihr wohlvertraut, bis hin zu ihren geheimsten Lesevorlieben. Allerdings ließen sie sich neuerdings kaum noch durch gute russische Literatur ablenken. Es wurde eng für Frau Maulbeer.

»Ach was«, sagte sie laut in den Nebel, um den Gedanken zu vertreiben. »Es wird eng für den Zar!«

Sie marschierte noch ein Stück durch den Wald, um etwas Abstand vom Tor zu gewinnen. Menschen, die sich so sehr ereiferten, dass sie zur Heugabel griffen, wurden manchmal unerfreulich erfinderisch.

Als sie schließlich ihr Lager aufschlug, zündete sich Frau Maulbeer als erstes eine Pfeife an – anders war das alles nicht auszuhalten. Zum Einschlafen würde sie wohl den Bäumen etwas vorlesen müssen, ein Lama hatte sie ja nicht mehr. Bäume mochten aus offensichtlichen Gründen nicht die größten Bücherfreunde sein, hörten aber sehr gerne Geschichten. Auf manchen Welten antworteten sie sogar.

Frau Maulbeer seufzte. »Nicht wehleidig werden, Cerulea«, mahnte sie sich. »Davon wird nur das Papier wellig.« Und es gab nur ein Buch, das das verdient hatte: die verhängnisvolle Schwarte, die ihr den ganzen Schlamassel eingebrockt hatte. Missmutig zog sie es aus dem Stapel, klappte es auf und sah dem Problem ins Gesicht: Bibliotheksstempel, Galaktische Erst- und Einzelausgaben-Bibliothek. Nicht zu fassen, dass sie einst so erpicht auf dieses Buch gewesen war …
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… Eine Bibliothek sollte nicht so still sein wie ein Wald, doch die Regale ragten starr und reglos auf, und dazwischen raschelte und knarzte es nur verhalten, ohne dass man die Verursacher der Geräusche je zu Gesicht bekam. In einer Nische gleich neben den marsianischen Kanalbauplänen, zu dunkel für die meisten Bibliotheksbesucher, aber weit entfernt von jedem Rauchmelder, roch es nach Old Duchess, dem Edeltabak, den Frau Maulbeer sich nur zu besonderen Gelegenheiten gönnte. Und wenn das keine besondere Gelegenheit war, was dann? Vor ihr auf dem Tisch lag Orpheus Kaysers Unikat, und das war nicht einfach nur ein Buch, nicht einfach nur Kunst – es war ein Fanal gegen die universelle Verfügbarkeit von Büchern. Es gab nur dieses eine Exemplar des Romans, alle anderen hatte der Autor in einer vielbeachteten Aktion vernichtet. Lediglich per Lotterie ermittelte Personen durften einen Blick hineinwerfen (und wie Frau Maulbeers Name ausgelost worden war, hätte eine eigene Geschichte abgegeben). Unikat war die ultimative Verlockung für jemanden, der vom Handel mit seltensten Büchern lebte … eine Verlockung und eine Herausforderung. Geschichten wollten von Hand zu Hand wandern. Protest gegen die universelle Verfügbarkeit von Büchern? Mumpitz.
Gespannt schlug sie die erste Seite auf.

Und dann geschah etwas Grauenvolles, etwas, das einem Bücherfreund niemals hätte passieren dürfen.

Nein, nicht die Tabakglut, die auf die Seiten fiel und ein riesiges Loch in Unikat brannte. Denn das Buch war schlecht. Schlechter als schlecht. So schlecht, dass ihr der Mund offen stehenblieb und die Pfeife herausrutschte. Und das Brandloch war hochwertigere Kunst als dieses Gekritzel! Sie hatte schon dreiköpfigen Affen, die nur fünf Buchstaben kannten, bessere Literatur abgekauft! Fassungslos starrte sie das Loch an, und das Loch starrte zurück. Ein Ascheflöckchen schwebte zu Boden.

Sie war in Panik ausgebrochen. Sie hatte das Buch hinausgeschmuggelt und sich zum nächstbesten Tor in eine andere Welt begeben. Die GEEB hatte den Zar eingeschaltet. Der Rest war Geschichte. Zumindest auf den Welten, auf denen ihre Kollisionen mit dem Bibliotheksverbunds-Inkasso für ein Medienecho gesorgt hatten, das einer Maulbeer nicht gut zu Gesicht stand …
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Sie wollte sich gerade eine neue Pfeife stopfen, als sie durch ein Rascheln im Gebüsch unterbrochen wurde. Die Mistgabeln? Das Inkasso? Wölfe? Energisch klopfte sie die Pfeife aus und spähte angestrengt ins Dämmerlicht. Ach herrje, Kunden. Vor denen hatte man auch nirgends seine Ruhe.
C.Maulbeer
»Sie handeln mit Büchern?« Eine Dame in Winterkleidung spähte über einige Heidelbeerbüsche auf ihre Schilder. »Ich bin Sammlerin, wissen Sie?«

»Trifft sich gut! Hier sehen Sie die erlesenste Auswahl an Literatur in hundert Dimensionen!«

Die Kundin – Frau Maulbeer zweifelte nicht daran, dass es eine werden würde – warf einen skeptischen Blick auf das Angebot und deutete auf das mit den Tentakeln. »Was ist das?«

Frau Maulbeer schob schnell ein anderes Buch darüber. »Bedaure, das darf ich erst nach 22 Uhr verkaufen.« Sicher war sicher. Leider hatte sie Durchs Multiversum in 20 000 Ordnungswidrigkeiten weggeben. Das Packlama war seinerzeit beinahe darunter zusammengebrochen.

»Und das?« Frau Maulbeer merkte erst jetzt, dass sie ihre Nemesis noch immer in der Hand hielt. »Das kann doch nicht … ist das Kaysers Unikat

Einen Augenblick lang war Frau Maulbeer zu verblüfft, um zu antworten. Das war nicht die richtige Welt für dieses Machwerk, und ihre Kundin hätte gar nichts darüber wissen dürfen. »Das … äh … ist eine Attrappe. Für die Auslage. Woher kennen Sie das Buch überhaupt?«

Die Augen der Kundin glänzten. »Kaysers Unikat ist ein Mythos unter Büchersammlern. Es heißt, es sei das beste Buch, das je geschrieben wurde, und es gab nur ein einziges Exemplar. Dieses Exemplar wurde gestohlen und ist bis heute unauffindbar! Die wenigen, die das Privileg hatten, es vorher zu lesen, sind berühmt, sage ich Ihnen! Sie schreiben Bücher über ihre Erfahrungen, werden in Talkshows eingeladen – jeder will ihre Interpretationen erfahren, erst recht, seit Orpheus Kayser nicht mehr unter den Lebenden weilt. Sie führen nicht zufällig Sekundärliteratur dazu?«

Frau Maulbeer schüttelte den Kopf. Wenn der Ruhm von Unikat sich nun schon über Weltengrenzen hinweg ausbreitete, stand es schlimm um die multiversale Buchheit.

Am Ende wechselten immerhin vier vortreffliche Werke die Besitzerin, dann zeigte die Kundin auf einen in Wachspapier geschlagenen Folianten in der Mitte des Stapels, woraufhin Frau Maulbeer abermals verneinen musste. »Das ist absolut unverkäuflich. Auch nach 22 Uhr. Auf Wiedersehen, meine Liebe!«

In das Wachstuch eingeschlagen war ihre Rettung. Denn Frau Maulbeer war nicht in wilder Panik von einer Welt zur nächsten geflohen, oh nein. Sie hatte ihre Karten studiert und Kurs auf die erfolgversprechendsten Paralleldimensionen gesetzt. Es gab durchaus Welten, auf denen der talentlose Schmierfink nicht so erfolgreich damit gewesen war, seinen Künstlerstatus durch eine radikale Limitierung des Angebots zu zementieren. So war sie in Besitz einer makellosen Version von Unikat gekommen. Und dieses Buch – auch wenn es bei Kalliope keinen Platz in einer Bibliothek verdient hatte – würde sie zurück in die GEEB bringen und damit den Schandfleck auf ihrer Kolporteurinnenehre tilgen, den Forderungen des Bibliotheksverbunds-Inkassos die Grundlage entziehen und die kaysersche Seifenblase vielleicht endlich platzen lassen. Nur ein einziges Tor hatte sie noch vor sich – schon in der nächsten Welt winkte der Rückgabeschalter. Und dann war sie frei, würde sich ihr Lama wiederholen und nur noch gute Bücher im Sortiment haben.
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Sie machte sich am frühen Morgen auf den Weg, als noch nicht einmal die Elster wach war und die Bäume, denen sie vorgelesen hatte, sich im Nebel verbargen. Das Tor befand sich am Ende eines Trampelpfades, ein halb eingebrochener Steinbogen.

Auf der anderen Seite war es genauso kalt und neblig, mit dem Unterschied, dass auf dieser Welt vermutlich sogar der Nebel belesen war – es war die Heimat der GEEB. Sie atmete einmal tief ein und schulterte ihre Bücher neu. Ein beißender Geruch lag in der Luft, und sie erkannte ihn in dem Augenblick, als sich eine tiefe Stimme vernehmen ließ.

»Frau Maulbeer.« Bei den rollenden R’s stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Eine Gestalt löste sich aus den Schatten und klopfte eine Pfeife an den Steinquadern aus, die auf dieser Seite des Tores lagen. Billiger russischer Tabak – sie hatte gehofft, so etwas nie wieder riechen zu müssen.

»Dmitri«, grüßte sie hinaus in den Nebel, wo sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit umsah. Er war der oberste Bluthund des Zaren. Er hatte sie sogar auf bücherlosen Welten aufgespürt, auf denen sie sich sicher (und miserabel) gefühlt hatte. Das eine Mal, wo sie ihn schon in den Zug begleitet hatte und mitsamt ihrer Bücher im Postcontainer entwischt war. Das andere Mal, als sie ihm zugewinkt hatte, weil man ihn wegen eines revolutionären Buches, das zufällig in seine Tasche geraten war, ins Straflager abführte, wo er dann die Geheimpolizei auf sie gehetzt hatte. Nein, er würde sich nicht im Nebel abhängen lassen.

»Und«, fragte er, »wie läuft Geschäft? Nur zufriedene Kunden, ja?«

»Kann mich nicht beschweren«, erwiderte sie. »Und selbst? Wie geht’s den Kindern?«

»Chaben sich sehr über russisches Märchenbuch gefreut, ja.«

Er stellte sich vor sie, Anzug, Handschuhe, Stiernacken und der ganze Rest. Sie hustete. »Dmitri! Ich habe das Buch! Du musst mich nur zur Bibliothek lassen, dann kann ich alles regeln! Hier, willst du’s sehen?« Sie nahm bereits ihr Bündel ab, aber er hob eine Hand.

»Der Zar interessiert sich nicht für Buch, ja? Ist nur interessiert an Rubel für deine Chaut.«

»Der Zar ist nicht hier. Wofür interessierst du dich? Weißt du was?« Eine Maulbeer ging nie unvorbereitet in den Showdown, und sie zog jetzt ein Buch aus dem Bündel, das sie mit zwei Händen heben musste. Als sie es auf dem Steinquader ablegte, schien der Granit zu beben. »Krieg und Frieden. Die vollständig nachbearbeitete, autorisierte Langfassung. Mit Anhängen. Die Welt, auf der man das kriegt, kennst nicht mal du.«

Dmitri überlegte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. »Das kann ich nicht nehmen, Ceru. Diesmal nicht. Der Zar ist ungechalten und erwartet Ergebnisse.«

Frau Maulbeer schluckte und warf die Würde über Bord. »Das mit den Tentakeln?«

Dmitri schnalzte nur tadelnd mit der Zunge, und sie sank in sich zusammen. Sie schnüffelte und wischte sich mit einer Hand über die Nase. »Na gut. Das … war’s dann wohl. Aus und vorbei.« Sie schnüffelte noch einmal. »Darf ich … darf ich um der alten Zeiten willen noch eine letzte Pfeife rauchen, bevor wir gehen?«

Dmitri seufzte und machte eine theatralische Pause. »Sicher.«

Sie setzte sich auf den Stein, stellte ächzend ihr Gepäck ab und nahm den besonderen Tabakbeutel, um die Pfeife zu stopfen. Feuer gab ihr natürlich Dmitri. Sie blies einen blaugrauen Rauchring in den Nebel. Der einzige Buchstabe, den sie aus Rauch machen konnte: O!

»O!«, meinte Dmitri schnuppernd. »Was chast du da?«

»Das? Das ist Old Duchess Spezialernte, Südhang, guter Jahrgang. Nur die obersten Blätter.«

»Unterstützt man damit imperialistische Marionetten?«

»Sicher.« Sie blies noch ein O in die Luft. »Interesse? Soll ich dir was abfüllen?«

»Den ganzen Beutel, Ceru. Und Tolstoi.«

Nur leicht widerstrebend schob sie den Beutel über den Stein.

»Spasiba. Muss jetzt Pfeife präparieren, ist sehr anspruchsvoll. Du bewegst dich nicht!«

»Niemals!«
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Sie war etwas außer Atem, als sie am Rückgabeschalter ankam, von ihrem Puls ganz zu schweigen. Vor ihr war eine alte Dame, die einen Stapel von fünfzehn Büchern verlängern wollte, von denen, wie sich herausstellte, sieben nicht aus der GEEB stammten. Als Frau Maulbeer an der Reihe war, klang ihre Stimme ein wenig stolz.

»Maulbeer, Ersatz-Rückführung. Vorgangsnummer 86343902.« Sie schob das Machwerk über den Tresen.

Die Bibliotheksmitarbeiterin nahm das Buch, blätterte es auf, drehte es um, rückte ihre Brille gerade, prüfte den Einband, die Bindung, die Papierqualität. Dann schob sie es zurück.

»Ach, das?«, fragte sie gelangweilt. »Bedaure, das wurde inzwischen nachgedruckt. Aus dem Nachlass, wissen Sie? Ein großer Tag für die Literaturkritik. Und für die Erben. Es gibt sogar eine günstige Studienausgabe. Führen wir hier aber nicht. Vorgang wegen Geringfügigkeit eingestellt.«

Mit versteinerter Miene klemmte sich Frau Maulbeer des Buch unter den Arm und musste sich sehr bemühen, auf dem Weg nach draußen die Würde nicht zu vergessen. Was Orpheus Kayser wohl dazu gesagt hätte, zu Unikat, 17. Aufl.? Vor dem Gebäude wartete Dmitri.

»Was machst du denn hier?«, fauchte sie. »Das hast du doch gewusst! Aus dem Weg, husch!«

»Cha, cha, cha.« Dmitri drohte mit dem Zeigefinger und hielt ihr dann die ausgestreckte Hand hin. »Überziechungsgebühren.«

»Du vergilbter, eselsohrüberzogener …« Sie atmete tief ein. Old Duchess hing in der Luft. Sie knurrte anerkennend. »Nicht schlecht, Dmitri. Gar nicht schlecht.«

Er grinste. »Ich rauche zu Ende. Du chast funfzehn Minuten.«

»Hier«, sagte sie und drückte ihm das Buch in die Hand, bevor sie sich vom Acker machte. »Da kannst du deine Pfeife drauf ausklopfen.«
C.Maulbeer

2 Kommentare

  • Felix Socher schrieb:

    Es ist ein tolles Amalgam zu dem sich Bilder und Geschichte vermischen.
    Vor allem beeindruckend ist die Leichtfüssigkeit und Stimmigkeit mit der sich alles verbindet und immer wieder Situationen entstehen, die an gewisse Außerirdische von Beteigeuze, Archäologen, die doch nur Schätze in Museen überführen wollen und gewisse Braunmäntel erinnern.
    Dies wird toll von den Portraitaufnahmen unterstützt, die dem ganzen noch einmal mehr Leben einhauchen.

    Ich hoffe es bleibt nicht nur bei dieser einen Episode 🙂

  • Dankeschön! Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Und ich denke, ich habe Frau Maulbeer schon für einen zweiten Auftritt gebucht. Sogar mit Archäologen!

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